Wir meinen, es zeuge von Stärke, wenn wir einfach immer weitergehen. Ständig in Bewegung, immer unter Strom, scheint Stillstand unser grösster Feind. Wir wollen schliesslich etwas erreichen, könnten etwas verpassen. Wenn wir aber genau hinsehen, rennen wir nicht, um irgendetwas zu erreichen. Wir rennen vor etwas davon. Nicht selten vor uns selbst. Aber egal wie schnell und wie weit wir rennen, wir werden immer wieder eingeholt. Je länger wir gerannt sind, desto bedrohlicher scheint der eigene Schatten. Irgendwann aber wird das Stehenbleiben unumgänglich: Zu gross wird der Leidensdruck, der uns dazu zwingt. Nicht selten stürzt unser Kartenhaus dann ein, weil der Wind von mehr als einer Seite kommt. Hinter uns zerschmettert Glas, vor uns zerspringt der Spiegel, in dem wir uns sonst sehen können. Bebend stehen wir mittendrin. Drehen uns im Kreis mit verbundenen Augen. Alle Farben sind übermalt. Wir machen die Augen zu, und lassen uns fallen.
Wenn uns in solchen Zeiten genau zum richtigen Zeitpunkt zufällt, was wir brauchen, kann dies enorm richtungsweisend und auffangend wirken. So las ich neulich von Jan Lenarz: In einer Gesellschaft, in der Wachstum glorifiziert wird, ist nichts mutiger als zu sagen «ich nehme mir erst mal Zeit für Heilung». Ein Grund, weshalb wir oft viel zu lange mit dem Einholen professioneller Hilfe warten, ist die Stigmatisierung. Im Sog der Angst entwickeln wir diverse Vermeidungsstrategien, und verhärten immer mehr. Das muss nicht sein. Deshalb ein kleiner Reminder, der mir am Herzen liegt: wir alle haben Schatten in uns. Es gibt keinen einzigen Menschen auf dieser Welt, der ohne ist. Hinzuschauen, und sich dieser Angst der Begegnung zu stellen, kann schmerzhaft sein, ist aber notwendig, für die ersehnte Veränderung. Wenn wir uns diese Zeit nehmen, anstatt einfach weiter zu rennen, erkennen wir schliesslich, dass Schatten ihre Entstehung immer im Licht haben, und dass sie sich einzig durch selbes auch wieder auflösen. Und genau in jener Transformation, also in diesem vermeintlichen Stehenbleiben, geschieht paradoxerweise am meisten Wachstum. Das ist mutiger als jedes (Weg)Rennen.
Auch ich bin mutig, und nehme mir jetzt erst mal Zeit für Heilung. Dieses Jahr war und ist für mich - wie für viele von uns - aus privaten und beruflichen Gründen extrem intensiv, und ich stosse an und über meine Grenzen. Mir war bewusst, dass drei Jahre mit zwei Jobs (>100%) und nebenbei Ausbildung herausfordernd werden, aber Corona und eigene innerseelische Prozesse, habe ich so natürlich nicht kommen sehen. Nebst dem grossen Bedürfnis, mich vermehrt wieder auf mich, und insbesondere auch auf die Abschlussprüfung in der Schulmedizin im November zu fokussieren, schaffe ich mir dort Raum und Zeit, wo es möglich ist: auf meinem Blog. So sehr ich das Schreiben liebe, beansprucht es halt doch auch sehr viel Zeit. Zeit, die ich jetzt für anderes nutzen will und muss. Ein grosses DANKE für eure Treue und die zahlreichen sonntäglichen Reaktionen. Ihr bestärkt mich in meinem Tun und bereichert mich in meinem Sein. Bis bald - voraussichtlich im Dezember - mit sicherlich neuen Erkenntnissen, Perspektiven und Inspirationen. Ich schicke euch ganz viel Liebe, Kraft und Zuversicht. Mögen sie euch weit tragen und mutig machen. Passt gut auf euch auf, und habt stets die Sonne in eurem Herzen.