
In meinem Praxisalltag konfrontiert mich (hauptsächlich männliches) Klientel nicht selten mit Aussagen wie "...und dann habe ich deine Beiträge gelesen/deinen Podcast gehört und war verunsichert, ob du wirklich die geeignete Therapeutin für mich bist, weil du ja selbst auch Themen hast!". Ich bin immer dankbar um ehrliche Rückmeldungen und schätze Transparenz sehr, jedoch darf ich ehrlich gestehen; solche wirken nach. Nicht, weil sie mich verletzen, sondern weil sie mich nachdenklich machen.
Mir ist durchaus bewusst, dass es eher ungewohnt ist, wenn sich eine Therapeutin nicht nur als Fachperson präsentiert, sondern auch als Mensch. In einer Welt, in der wir von Perfektion umgeben sind, kann es verunsichern, wenn jemand sagt: "Ich kenne Schmerz. Ich kenne Zweifel. Ich kenne Herausforderungen." - aber genau das ist mein Punkt: ich bin nicht so erfolgreich in meinem Tun, weil ich nie gestrauchelt bin, sondern weil ich gelernt habe, wieder aufzustehen. Ich glaube nicht daran, dass Heilung in einem Raum passiert, in dem eine "fehlerfreie" Fachperson auf einen "problembehafteten" Klienten trifft. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass sie da geschieht, wo wir uns begegnen - echt, achtsam und auf Augenhöhe.
Nebst meinem professionellen Werkzeugkoffer mit Fachwissen, Erfahrungen und Methoden empfinde ich meine Menschlichkeit als das Kostbarste - und bin zeitgleich davon überzeugt, dass viele andere genau daran scheitern. Ich halte es für eine Illusion (und auch für gefährlich!), anzunehmen, dass wir als Therapeut:innen „fertig“ sind - dass wir keine eigenen Prozesse, Herausforderungen oder Wachstumswege mehr hätten. Für mich ist Professionalität nicht das Gegenteil von Verletzlichkeit, sondern es bedeutet insbesondere auch die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, eigene Muster zu erkennen, und damit verantwortungsvoll umzugehen. Und genau das will ich damit mutmachend zum Ausdruck bringen: Es geht immer um die Perspektive die wir einnehmen - nicht um Perfektion.
Wie sieht ihr das: Vertraut ihr einer Therapeut:in weniger, wenn sie eigene Erfahrungen teilt - oder stärkt das eher euer Vertrauen?